Sarah Altenaichinger (*1997 in Basel) nennt seit 2012 Spoken Word-Bühnen ihr zweites Zuhause. Mit ihren Texten performt sie regelmässig in der Schweiz, Deutschland und Österreich und konnte sich zu zahlreichen deutschsprachigen Poetry-Slam Meisterschaften qualifizieren (u.a. Heidelberg, Kiel, Berlin, Wien). Daneben gibt sie im Rahmen von Slam@School Schreibworkshops an Schulen und publiziert gelegentlich Texte in Zeitschriften (u.a. RADAR, Wohnrevue, Transhelvetica, taz o. ä.).
Für das Literaturmagazin der Basler Eule hat Sarah einen Text, den sie im Wettbewerbsbuch publizieren durfte, neu geschrieben.
Ausschnitt
Der Horizont
hat auserzählt
Mein Blick sucht
eine Tür
Sand
Sand
Sanduhr-
»Sand haftet auf meinen Lippen«
stand vor Jahren in meinem Notizbuch
Nun spielt er meine zweite Haut
und liegt auf meiner Zunge
wie eine Bindehautentzündung
wie ein Wort, das knirscht
zwischen den Zähnen
Wie lange
war ich hier
wie lange
wagte ich
zum Meer zu schauen
die Gezeiten einsammeln
wie schöne Muscheln
Wellen kämmen
deine Haare einfangen
im Wind
(Sylvie wie
kam ich nur
auf diesen Namen)
Ich kann mich
nicht erinnern aber
Textblätter sind
hinter mich
wie Fusspuren
gefallen und ich
bücke mich danach
als ob sie schimmern würden
Kaum etwas verstehe ich
doch wehe, diese Spur
hat keine Bestimmung da steht:
Basler Eule, Junges Theater, Poetry Slam, Uni Bern
Schreiben Schreiben Schreibmaschine
Lesen Lesen Lesebühne
Liebe Lyrik Eierkuchen
ein Leben in a nutshell, schau!
Ich lese alles auf
bewege mich und laufe
weg betrete weites Land
löse mich von
Wellenranken
Gischtverlangen
Meeresplankton
komme an
ein Luft-Zug halb
im Sand vergraben
die Tür steht auf
Die Reisenden
sind weiterhin
versunken in den Sitzen
als ob die Zeit
stehengeblieben wäre
Hitze flirrt durch das Abteil
ich setze mich
Dem Zug entfährt ein Schnauben
schüttelt sich zieht seine Schrauben
enger spannt den Rumpf an
macht auf seinen Rädern kehrt
entfernt sich
fährt mich vers le monde
ein Mond lang
langsam
streckt sich ein Entsteinern
an der Haut schürft Stoff
durch Fensterscheiben
kollabiert die Sonne staubig
Rhythmus rattert
und die Knie
meines Vis-a-Vis
Vogelschnäbel
picken leicht
Schalengespräche
heben sich windig
von den Sitzen
flüstern singen
Mund-zu-Ohr-Beatmung
winzige Inseln
bis der Zug
einfährt
haben wir Pakte geschlossen
und Nummern getauscht
Pakete versprochen
verboten geraucht
liessen Sehnsuchtsschwaden
wabern und schweben und
mit ausladenden Gesten
erzählen
vom Ausschnitt Himmelrosa
zwischen Stromvernetzungskabeln
und Zugrädergleisen
das schärft meinen Blick
und von – ich sehe sie draussen
schon warten –
jungen Grossstadtaugen
auf schienenbegrenzendem
Bahnsteigparkett
Damals veröffentlichte Sarah im Rahmen des Schreibwettbewerbs «Die Basler Eule» diesen Text:
Horizont
Grossstadtaugen
auf schienenbegrenzendem
Bahnsteigparkett,
die blinzeln ins Licht.
Graukantiges Lächeln,
verirrt im Spiegelkabinett
vorbeifahrender Zugfenster,
trennt Namen von Namen,
Gesicht von Gefühl,
setzt Linien,
wo keine sein sollten.
In den Zwischenphasen,
diesen Paraphrasen
des Ankommens und des Gehens
verweilt einzig das Geräusch
eilender Schritte
auf Teerteppichböden,
und die Zeit vergeht auch.
Und ich heb mein Gesicht,
das was mir noch bleibt
ist ein Ausschnitt von himmelrosa
zwischen Stromvernetzungskabeln
und Zugrädergleisen.
Ich steige in den Zugwagon ein
jeder Morgen,
ein Ziel ohne Reise
hinter geschlossenen Türen.
Und dort,
ein stiller Keil im Abteil
zwischen rationalen Reisenden
und träumenden Illusionisten.
Wir haben uns nichts zu sagen.
Streifende Blicke
wie Scherenschnitte.
Zugemauerte Pupillen,
vertrickte Wimpernwolle,
die Iris,
ein verschütteter Ölfleck.
Und das Licht befleckt den Teer.
Wir kennen uns nicht.
Ich hab dich gekannt.
Ich hab deinen Namen gewusst. Sylvie.
Vie. Wie das französische Wort, das Leben.
Deine Grossstadtaugen waren schön.
Und schön war auch, mit dir das Stückchen Himmel
zwischen Kabeln und Dächern zu suchen.
Und der Zugluft bei Gleisen auszuweichen.
Ich mochte es, mit dir das Meer zu finden.
Und in die Wellen warfen wir unsere Herzen hinein.
Wir brauchten keine Grenzen.
Wir waren uns Insel genug.
Und doch in allem. Warst du.
Doch vie vergeht. Ich hab dich gekannt.
Und verloren zwischen
Stromvernetzungskabeln
und dem Horizont.
Mein Blick sucht.
Ich fahre,
und im Abteil ist es still.
Wir können nicht mehr in unseren Augen lesen.
Der Blick ist uns abhandengekommen.
Abgegrenzt, Zahn der Zeit
tickt mit Befangenheit,
verdickt sind die Zuschlüsse,
Anschlüsse, Weltenzug, fährt er weit?
Stopp.
Da liegt er im Sand.
Wir haben angehalten. Räder versunken in diesen Strandstaubkörnern.
Ich fasse nach ihm ohne Nachzudenken und
wie aus einer verloren geglaubten Antwort ergibt sich mir der Sinn.
Nun kann ich mich nicht mehr halten.
Ich weiss, was auf mich wartet.
Ich springe aus den klammen Sitzen,
und stürze aus dem Zug hinaus.
Und ich steh am Meer
mit neugefundenem Blick
und fokussiere
auf die Gestalt,
die da steht.
Du da. Vie. Sylvie.
Barriere. Sehnsucht.
Grenzpunkt. Leben.
Du da.
Ich hier.
Wartend. Arm ausgestreckt. Hand offen. Fingerlang.
Verbindung. Und plötzlich-
Wir hier.
Die salzige Luft
hält den Atem an,
in Erwartung
des wellernen Stosses
zwischen die Rippen des Meeres.
Sand haftet auf meinen Lippen,
zwischen den Klippen einfältiger Hautritzen,
der zerbröckelt und kitzelt zwischen deinen Fingerspitzen
Möwen kreischen kreisend,
ankommend und verreisend,
Schneisen in den Himmel zeichnend, still
Mein Blick ist gefunden,
zwischen zwei Stunden
im Sand,
an deinen runden Grossstadtaugen
verbrannt, doch nun wieder ganz
Der geradlinige Horizont
sticht aus dem Meer
und gibt mir
einen Augenfixierpunkt, eine Aussicht,
doch dein Haar im Wind,
zersetzt ihn in
unscharfe Konturen.
Was mir noch bleibt
ist ein offener Himmel,
ein bleiernes Meer,
deine Hand, die mich hält
und eine waagrecht verschwommene Ziellinie,
der Horizont.
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