Die Basler Eule

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‹Die Dinge beim Namen›, Auszug aus dem Kapitel ‹Julia›

Rebekka Salm

Wohnhaft in Olten, studierte Islamwissenschaften und Geschichte in Basel und Bern, arbeitet als Texterin und Erwachsenenbildnerin im Migrationsbereich und ist Mutter einer Tochter.

Publikationen in verschiedenen Literaturformaten, 2019 gewann sie den Schreibwettbewerb des Schweizer Schriftstellerwegs. Ihre Siegergeschichte ist im Buch «Das Schaukelpferd in Bichsels Garten» (2021) erschienen.

2023 erhielt sie von den Kantonen Baselland und Solothurn je den Förderpreis Literatur.

1995 publizierte sie für Die Basler Eule zum Thema „Basel im Jahre 2020″.

www.rebekkasalm.ch

Publiziert am 9. August 2023

„Die Dinge beim Namen“, erschienen 2022 im Knapp-Verlag. Auszug aus dem Kapitel „Julia“

Der Duft von gebratenen Würsten und ersticktem Feuer lag in der Luft. Julia hatte sich in den Wald geschlagen. Durch das dichte Webmuster der Tannennadeln drang kaum Sonnenlicht. Sie hatte bereits einen Arm voll ellenlanger Hölzer neben eine Fichte gestapelt, als Dominik auf ihre Lichtung heraustrat und bei ihrem Anblick unschlüssig stehen blieb.

Langsam richtete Julia sich auf, bemüht, jede hastige Bewegung zu vermeiden. Dominik sprach wenig, und wenn er sprach, lispelte er. Lispeln bedeutete für einen bald Zwölfjährigen geklaute Pausenbrote, Tauchgänge in der Jungentoilette sowie rote Striemen auf Rücken und Po nach jeder Turnstunde. Dominik aber war nie abgeklatscht worden, wie man das Schlagen mit nassen Badetüchern nannte. Er hatte es sogar geschafft, in Erichs Gang aufgenommen zu werden. Das machte ihn gefährlich. Er musste die Schwachen in der Klasse stärker triezen als Erich und die anderen Jungs, um seine eigene Schwäche vergessen zu machen.

«Was glotzt du so blöd?», knurrte er. «Geh weg, ich will hier pinkeln.»

Erst jetzt bemerkte Julia seinen offenen Hosenstall.

«Ich sammle hier Holz», gab sie ihm betont gleichgültig zur Antwort.

«Verschwinde oder ich pinkle über dein Holz.»

Er machte zwei Schritte nach rechts und stand direkt vor den Ästen, die sie dort aufeinandergeschichtet hatte. Schon hatte er seine kurzen Hosen in die Mitte der Oberschenkel geschoben und griff nach dem elastischen Band seiner Unterhose. Er funkelte sie siegessicher an. Sie wusste, wie gerne er vor ihr blank ziehen und sich über ihrem Sammelholz erleichtern würde. Einfach so, weil er es konnte und weil niemand ihr zu Hilfe eilen würde, auch nicht, wenn sie danach rufen würde. So war das nun mal. Rief einer der Schwachen um Hilfe, war dies für die anderen ein Zeichen dafür, dass alles in Ordnung war. Erst wenn einer der Starken in Not geriet und rief, rannten die Lehrer.

Sie zuckte erneut mit den Schultern und wandte sich ab, tat so, als suche sie Waldreben, mit denen sie die Hölzer verschnüren konnte.

«Tu’s doch. Hoffentlich reisst dir die Joholla dabei den Pimmel nicht ab.»

Aus dem Augenwinkel sah Julia, dass er in seiner Bewegung verharrte.

«Was?»

Sie bückte sich, schob Tannennadeln über den trockenen Waldboden und wieder zurück. Ameisen purzelten durcheinander, rappelten sich hoch und liefen rasch davon, ohne die riesigen Lasten auf ihren Rücken fallen zu lassen.

«Was redest du da?»

Winzige Tropfen Spucke flogen aus Dominiks Mund und durch einen der wenigen Lichtstrahlen, leuchteten auf und verglühten im Tannendunkel.

«Kennst du die Geschichte der Joholla nicht?»

Dominik kniff die Augen zusammen.

«Wer soll das bitte sein?»

Julia blickte ihn von unten her an, und als sie sicher war, dass er ihr zuhörte, begann sie zu erzählen.

«Vor lang vergangener Zeit lebte ein Mädchen in einer Hütte am unteren Bachlauf. Etwa an der Stelle, wo du nachher dein Boot versenken wirst.»

Er zog die Augenbrauen hoch, reagierte aber nicht weiter.

«Ihr Name war Johanna», fuhr Julia fort, «weil aber neben ihrer Hütte ein stattlicher Holunderbusch wuchs, wurde sie von allen nur Joholla genannt. Der Holunderbusch war schon gross und prächtig gewesen, als die Ältesten im Dorf noch kleine Kinder und ein erstes Mal zahnlos gewesen waren. Johollas blonder Zopf reichte ihr bis über den aus Brennnesselfasern geflochtenen Gürtel, Schuhe besass sie keine und wenn sie lachte, klang es, als verfinge sich der Wind in den Klangstäben eines Windspiels. Johollas Eltern waren seit Jahren tot und so lebte sie von Wurzeln, Beeren und Nüssen, die sie im Wald fand, und von dem, was ihr die Leute aus dem Dorf brachten. Joholla war bekannt dafür, dass sie Kräuter kannte, die gegen Furunkel und Fleckfieber wirkten. Kräuter, die machten, dass man schwanger wurde und wiederum andere, die das Gegenteil bewirkten. Mit Kräutern heilte sie blutendes Zahnfleisch genauso wie gebrochene Herzen. Im Dorf wurde gemunkelt, Joholla paktiere mit dem Teufel. Darum mieden die Dörfler sie in der Öffentlichkeit. Ein jeder aber, ob arm oder noch ärmer, klopfte in der Not und nach Einbruch der Dunkelheit an Johollas Tür.»

«Was interessiert mich diese Joholla?», unterbrach Dominik sie ungehalten.

Julia tat so, als hätte sie ihn nicht gehört, und erzählte die Geschichte weiter, die ihre Patentante ihr bestimmt schon hundert Mal erzählt hatte. Und zu Julias Überraschung hörte Dominik weiter zu.

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